Fairmasters 2019: Inessa schafft das Unmögliche

Von | 7. Mai 2019

von Hans Trachsel

Man hatte ihr durchaus einiges zugetraut, der Frau mit dem klingenden Namen. Doch gleich der Sieg an einem der grossen Turniere? Inessa Hellwig-Fabian hat im prachtvollen Schloss Reinbek bei Hamburg genau das geschafft. In Anbetracht des 16. und letzten Spiels auf geradezu unmögliche Weise.

Die Partie hatte den Charakter eines Finales, denn die Siegerin würde auch das Turnier gewinnen. Und die Favoritin Nadja Dobesch steuerte einem sicheren Sieg entgegen, besonders nachdem sie mit dem Bingo INVERSE unter Verwendung beider Blankos deutlich in Führung gelangte. Doch Inessa dachte nicht ans Aufgeben und wartete kurz vor Schluss mit dem Bingo GEFIESEL auf. Nadja liess es stehn und musste sich nach dem Abschlussbingo EINLEBEN bei voller Restbank um neun Punkte geschlagen geben. Das Gefiesel erwies sich tatsächlich als fies, sprich ungültig. Es gibt wohl das Verb ABFIESELN, doch daraus lässt sich laut Duden kein Gefiesel basteln.

Nadja rang nach dem „verschenkten“ Turniersieg einen Moment lang um Fassung, fand diese aber wieder und musste gleich noch hinnehmen, dass sie im Kampf um Platz 2 von Manuela Hilgenkamp um einen Punkt geschlagen worden war: 7269 Punkte aus 16 Spielen für Manuela, Nadja „nur“ 7268. Die Scrabbler wissen schon, warum sie auch in aussichtslosen Partien um jeden Punkt fighten.

Inessa hat an diesem Turnier eine Überraschung nach der andern geschaffen. Von den 14 grössten gehen deren acht auf ihr Konto. Sie begann zwar mit einer Niederlage gegen Organisator Johann-Georg Dengel, der bis Runde 14 selbst auf Siegeskurs wandelte. Ab Runde 2 schlug Inessa dann reihenweise mehrfache Turniersieger, wenn auch oft knapp, denn sie hat auch bei den Glückspilzen Platz 1 erobert: Sie besiegte die Schweizerin Blanca Gröbli-Canonica knapp, gewann auch die nächsten drei Partien, ehe in Runde sechs mit ihrem Schatz und Coach Stefan Merx – die beiden sind liiert – wieder ein ganz Grosser wartete. Sie erwies sich als gelehrige Schülerin und siegte mit 431:356. Als nächster musste Friedrich Engelke dran glauben, ehe dann Nadja die erste Begegnung der beiden mit 439:361 klar für sich entschied.

Die beiden so ungleichen Dominatorinnen lieferten sich nun ein Fernduell: Nadja siegte gegen Hans Trachsel (486:451) und Jörg Diersen, ehe sie gegen Johann-Georg kurz aus dem Tritt geriet. Inessa legte gar vier grandiose Siege in Folge hin. In Runde 14 verloren beide: Inessa gegen den überraschend starken gebürtigen Belgier Milo Classen und Nadja hoch gegen Blanca. Es führte danach immer noch Nadja vor Johann und Inessa.

Inessa gewann das vorletzte Spiel gegen Dietlind Linsel-Böttcher, während auch Nadja gegen Milo den kürzeren zog. Johann unterlag gegen den an diesem Turnier unerwartet starken Hans Trachsel, womit der zuvor mögliche Sieg am eigenen Turnier entschwand. Und dann kam es zum eingangs geschilderten dramatischen Finale. Die 42-jährige Technische Redakteurin Inessa ist ein grosser Gewinn für die Scrabbleszene: Mit unbeschwert-frischem Schwung ist sie vor knapp zwei Jahren an den Turnieren aufgetaucht und spielte gut, aber nicht überragend. Am Riesensprung, den sie nun in kürzester Zeit gemacht hat, hat Stefan, der Deutsche Meister von 2017, bestimmt einen grossen Anteil; das vorhandene Talent hat sich nun so richtig entfaltet. Mit dem höheren Druck, den der Turniersieg mit sich bringt, will sie locker umgehen, wie sie verriet. Eine grosse Herausforderung wartet am Turnier der Champions, an welchem nur die 24 Allerbesten teilnehmen können.

Wie bei Stefan und Inessa war es auch bei Manuela und Jörg die Frau, die besser abschnitt. Stark aufgespielt hat auch die Berlinerin Ulrike Brodkorb als Fünfte. Uschi Müller fing sich nach einer Serie von Niederlagen glänzend auf – Platz 6. Auf die weiteren Taten von Milo Classen darf man gespannt sein, hinter ihm auf Rang acht folgt die immer konstantere Doris Methner. Hans Trachsel auf Platz 9 wurde erstmals überhaupt bester Schweizer. Er gewann das letzte Spiel ganz knapp gegen Blanca; als langsamer Berner musste er 75 werden, um so richtig über sich hinauszuwachsen. Die Überraschungen zum Festtag und die vielen Glückwünsche beflügelten ihn offensichtlich. Habt alle Dank!