Ein grandioses Finale in Hamburg

Von | 29. April 2015

von Friedrich Engelke

Dieser Artikel behandelt nicht den Abstiegskampf des HSV und leider, leider berichtet er auch nicht von den unzähligen Heldentaten und dem unsagbaren Leiden der Vor-, Haupt- und Finalrunden, die der neue Modus des 8. Hamburger Fairmasters brachte. Er gibt Kunde von einem Ereignis, bei dem nur wenige zugegen waren.

»Als Friedrich noch ein Fritzchen war …«, so begann nicht nur eines der Gedichte, die diesen Wettbewerb umrahmten, sondern so begann auch, was bei den diesjährigen Fairmasters wahr wurde: Als Kind wünschte sich der Verfasser häufig, »Mäuschen« zu sein, d.h. anderen zusehen/zuhören zu können, wo man eigentlich nichts zu suchen hatte. Das Publikum – so will es die Ausführung des Hamburgers Fairmasters – ist »ausgesperrt«, es sitzt in einem anderen Raum und folgt dem Finale auf der Leinwand. Das hat Vorteile (man kann sich unterhalten, analysieren etc.), aber auch Nachteile. Man sieht/spürt/fühlt die Spannung weniger – man ist wie »online« ohne Bild von den eigentlichen Protagonisten.
Wie Fußball im Fernsehen, nicht aufm Platz!

Ich durfte, da ich die Buchstaben mitschrieb. Und so wurde ich Zeuge eines bisher so noch nicht erlebten Endspiels.
Beide Finalisten beginnen nervös. IODIER auf dem Brett – ich denke, es ist doch ungültig (keiner weiß warum) – aber es wird nicht angezweifelt, sondern mit SEC zum IODIERE. Das wird ein offenes Spiel, fällt mir dazu ein (er hätte ja auch CES legen können), so öffnet sich Bingolinie auf Bingolinie. FLUNKER folgt nur JE und nicht der JETSET. Damit eine feine Anlegestelle für …AI… oder …EI…, doch nichts wird aus FLUNKEREI. Jörg erledigt QI und hat nun eine sehr gute Bank. Mehrere Möglichkeiten, aber er kann sie nicht legen, da Ben mit TEUFTEST so geschickt ablegt, das sich keine Bingolinie für ABEEGLN (BENGALE, ABLEGEN, BENAGEL, BENAGLE …) ergibt. Spielt Ben hier den – nach Analyse – optimalen Zug SE[I]FEST oder FE[I]TEST an der vorbereiteten Stelle mit 108 Punkten, dann hat Jörg mehrere Möglichkeiten, einen Bingo in der 11. Spalte zu platzieren. Jörg überlegt lange, entscheidet sich dann für NABELE mit 44 Punkten. Das Brett ist sperrangelweit offen. Ben öffnet weiter mit PINKT und damit einem möglichen 9er. Der wunderschöne Bingo GESCORTE von Jörg folgt an anderer Stelle. Wer hat ihn gesehen? Im Zuschauerraum sind die meisten überrascht, nur die alten Hasen/Häsinnen haben es sofort gewusst. BEN kontert mit DEUTERIN, hat sich doch der zweite Blanko auch zu ihm gesellt. Wink des Schicksals? Neigen die Elfen sich ihm zu? Jörgs Zug HUPEND sorgt für Kopfschütteln, behält er doch Ü und Y auf der Bank, verschmäht punktreichere Züge der »einfachen« Art wie NY oder DYN mit sechsfachem Y. Ist das vielleicht eine Schwäche der Cracks? Ben bleibt eher bei seiner Linie und legt das V mit VEDA sofort ab. Bei Jörg kommt zum Y das X, das passte zum Schmuckstein ONYX, der zu Recht dieses Scrabblebrett ziert. Dem HM darauf folgt MÜNZE und BUHN, dann SEIWALE (!), ebenfalls von Jörg. Reaktion im Zuschauerraum – siehe oben. Ein ungewöhnliches Wort. Ben zollt Anerkennung, eine mehr als faire und feine Geste, sieht er durch dieses Meerestier doch eher seine Felle davonschwimmen; Spielstand jetzt 370:308. Doch eine feine Kombination folgt, denn wir biegen in die Zielgerade ein. Ben legt »nur« ein NA, öffnet die A-Linie erneut als Bingolinie, zudem dreifach. Hohes Risiko, das liegt ihm. Doch die nachgezogenen Buchstaben erfüllen seinen Traum (noch) nicht, sind aber saugut.
Jörgs nachfolgender Zug erregt seitdem die Gemüter. Leider – in meinen Augen und Ohren – war das der erste Kommentar, den er von den nach dem Finale herbeieilenden Zuschauern nicht nur zu hören bekam: Sie mussten sogar Einfluss auf das Brett nehmen, die Buchstaben herumschieben, das schöne Bild zerstören, um ihm den vermeindlichen »Fehler« vor Augen zu führen: ÖRE mit 67 Punkten. Will man ihm sagen, er sei auch noch blind? Ich ärger(t)e mich. Ein »Zwischentraum«: Wunderbar wäre Risiko(Ben) mit Risiko(Jörg) zu beantworten: ÖSI H12w (!?), 18 Punkte. Restbank AENRU (»supergut«). Aus Jörgs Sicht sind die folgenden Buchstaben noch außerhalb: ÄEEGGHIMMNRSSTTU. Zwei S, die damit ÖSIS und 33 Punkte ergeben. Wird Ben darauf verzichten, wenn er ein S auf der Bank hat? Er hat sogar beide, was Jörg nicht wissen kann. Ben, bei seiner Kenntnis, sieht wahrscheinlich ERSTIS C15s mit dann 80 Punkten, die Zuschauer auch?! Legt er dann immer noch RUS, um auf einen Bingo zu spekulieren? Da jetzt aus seiner Sicht der Sack nicht geleert ist, sieht die Spielsituation ganz anders aus. Zudem – egal, was er macht – die nächsten Buchstaben, die Jörg aus dem Sack zieht, sind zunächst das G, dann M, gefolgt von einem weiteren M. Beim angenommenen Zug ÖS-I bekommt er nur G und M, hat damit UMGARNE-N auf der Bank und das Spiel ist »gelaufen«, doch diesmal mit Jörg als Finalsieger. Traum vorbei. Es kommt anders. Ben’s Bank: EIRSSTU ergibt weder einen Bingo zur A-Linie, noch lässt er sich einfach mit ausstehenden Buchstaben formen. Was soll man ablegen? Und der folgende Zug ist schon genial, jüngere Bewunderer von Ben werden ihn »geil« nennen. Er legt RUS mit 17 Punkten und öffnet eine weitere Bingolinie, die sich nicht gleichzeitig mit der offenen A-Spalte blockieren läßt! 3 neue Buchstaben für ihn (die mehr als ersehnten – ich jedenfalls finde nur wenige Kombinationen, die noch besser wären, siehe unten). Nun Jörg. Er hat lang nachgedacht. Aus seiner Sicht sind mit den verbleibenden Buchstaben zig Bingos auf beiden offenen Linien möglich; er kann hoffen, dass es nicht zuviele Punkte werden. Dreifach in jedem Fall, damit sicher ca. 80 Punkte, wenn es schlimm kommt, dann sind es weit mehr (z.B. Ä auf A4 mit GENÄHTEN 113 Punkte … oder Ä auf D1 mit TÄTIGERE 110 Punkte). Nun – wir wissen, wie es ausging. Jörg legt GRAMMS mit 42 Punkten, der Zwischenstand 438 : 337, d.h. Vorsprung 101 Punkte. Und dennoch reicht es nicht. Glücklicher Ben. EINSÄTEN auf A1 bringt den Sieg. Jörg zweifelt es – sicher frustriert – aus Gewohnheit an. Der Rest ist bekannt. Ben Sieger. Endstand 414:443.

Erstaunlich bleibt aus Fritzchens Sicht: Warum verletzt gerade ein Topspieler die »Eiserne Regel« des Scrabble: »EINER BLEIBT IM SACK!« ?

Denn es führt zu eigenartigen Konsequenzen. Hie der Verlust der Partie, da eigenartige Möglichkeiten. Zum Beispiel im Traum #2: Jörg folgt nur der Regel, aber lässt – da beide sich nicht gleichzeitig blockieren lassen, beide Bingolinien offen. Natürlich mit dem Ziel, sich damit auch nach Bingo von Ben, der dann noch einen (oder zwei) Buchstaben bekommt, eine möglichst gute Bank zu behalten. Jörg im Traum legt also MIM H13w 21 Punkte. Restbank AGÖSU ist sehr gut für die 1. Spalte (AUSGÖR) und lässt einige Bingomöglichkeiten mit den nachzuziehenden Buchstaben auf beiden Bingolinien zu. Spielstand 417:337; es folgt Ben mit EINSÄTEN und 92 Punkten. Spielstand nun 417:429. Wir entnehmen den nachgezogenen Buchstaben, dass Jörg 2 der drei verbleibenden Buchstaben G, H und T bekommt. Welche der Kombinationen er auch bekommt (und resultierend Ben als letzten Buchstaben); er kann praktisch nicht mehr verlieren. Bei GH Endstand 458:448; bei GT Endstand 463:443 und bei HT Endstand 463:440. Selbst im »worst case«: Ben hat auf der Bank GENÄHTE-N mit 113 Punkten für seinen Bingo, verbleiben dann IST im Sack, von denen Jörg zwei bekommt. Mit ST hat er selbst einen Schlussbingo mit 101 Punkten; Endstand 519:447 (!), mit IS und IT verliert er allerdings denkbar knapp – im letzten Fall mit 464:465. Was für fantastische Möglichkeiten unser Sport bietet … :). Der Traum ist aus, die 8. Fairmasters vorbei, die 9. im nächsten Jahr versprochen.

Chapeau und auf Wiedersehen, LENA und JOHANN!