von Hans Trachsel
Blanca stand schon drei Runden vor Schluss als Finalistin fest, für Claudia Aumüller sah es auch sehr gut aus: Gerade noch ein halber Punkt fehlte. Sie hatte drei Matchbälle, wie das im Jargon der Sportjournalisten heisst. Da würde die Ausnahmekönnerin doch bestimmt einen verwerten – denn hat sie überhaupt je dreimal nacheinander verloren? Doch diesmal passierte es. Rund ein halbes Dutzend Anwärter gab es auf den begehrten vierten Platz im Halbfinale – und erreicht hat ihn als lucky loser die bereits dreifache Gewinnerin des ZEIT- und des danach ins Leben gerufenen SeHer-Turniers Claudia Aumüller.
Dazu bedurfte sie für einmal jeder Menge Schützenhilfe. Theo verwertete seinen zweiten Matchball, das war erwartet worden. Die unglaubliche Karola Hoffmann legte nach missratenem Start zuletzt eine Serie von elf Siegen hin und holte sich ihr Ticket für die Vorschlussrunde. Dies gelang weder Gabi, Doris, Dieter noch Lea, so dass Claudia, was sie selbst nicht mehr erwartete, doch noch um den Sieg mitkämpfen durfte. Und den holte sie letztlich auf souveräne Art. Zwar verlor sie die erste Halbfinalbegegnung gegen Blanca um 50 Punkte, drehte danach aber den Spiess um und zwar mit doppelt so hohem Abstand. Theo verlor ebenfalls den ersten Halbfinal, doch holte er im Rückspiel einen klaren Sieg und war qualifiziert.
Im Final erlebte man dann wieder die Claudia, wie man sie seit über zwei Jahrzehnten kennt: Souveräne Wortkunst vom feinsten. Sie gewann bereits das Hinspiel um 28 Punkte, das wollte noch wenig bis gar nichts besagen. Im Rückspiel gelangen beiden recht früh zwei Bingos, Theo mit ERAHNTEN und STURMES Begriffe aus dem täglichen Leben, Claudia fand CLUSTERN und HÄRESIE, beides wohl selten auf dem Brett anzutreffen. Danach wogte das Spiel hin und her, Theo fand nur die zweitbeste Lösung für das Y und verlor erneut ziemlich knapp mit 385:409. Damit erreichte Claudia nach drei ZEIT-Turnier-Gewinnen ihren ersten Sieg beim SeHer und ist nun erste Vierfachgewinnerin, für Theo bleibt es bei zwei Siegen. Beiden Finalisten herzliche Gratulation, sie zeigten zwei nicht enorm punktreiche, aber dennoch hochstehende Finalspiele.
Die grosse Dominatorin der Hauptrunde, die Schweizerin Blanca Gröbli-Canonica, grämte sich nicht allzu sehr, dass es nicht fürs Finale reichte. Alle freuten sich, dass sie nach längerer Krise wieder da ist – und wie. Noch selten, wenn überhaupt jemals, stand eine Halbfinalistin so früh fest. Sie aber gewann 18 von 24 Spielen, zwei mehr als alle andern. Und die Mitspielenden freuten sich ausnahmslos, dass diese grosse Persönlichkeit der Scrabbleszene auf so überzeugende Weise wieder an der Spitze mittun kann.
Vor dem letzten Spiel der Hauptrunde standen als Halbfinalisten erst Blanca und Theo fest. Um die zwei weiteren Plätze kämpften Doris Methner, Lea Gettys, Gabi Chapus und Karola Hoffmann. Und natürlich Claudia, die aber hoch verlor gegen Andrea Sievers, der dies beinahe leidtat. Karola packte die für sie erstmalige Gelegenheit mit einem Sieg gegen Dieter Kästner, der ein tolles Turnier gespielt hat und erst gegen Schluss etwas unter die Räder geriet. Dagegen verlor Doris gegen Patricia Mang, die sich im Turnier gross steigerte und zuletzt gar Schicksal spielte. Das gleiche gilt für die Schweizerin Nesa Wyss, die Lea Gettys der Chance beraubte, möglicherweise gegen ihren Mann Theo ums Finale zu kämpfen. Auch Gabi erging es gleich, ihre Bezwingerin heisst Uta Ehlers. Bei all den genannten Favoritenschrecken kann sich Claudia bedanken. Für die unglücklichen Verliererinnen bleibt das gute Gefühl, ein tolles Turnier gespielt zu haben.
Nicht gut lief es der Siegerin vom Vorjahr, Regula Schilling. Wiederholtes Buchstabenpech warf die grosse Kämpferin zurück.
Ausser den Genannten erreichte noch Raimund Dillmann einen Platz unter den ersten zehn, ein grosser Könner, der für jeden zum Stolperstein werden kann. Auf den nächsten Plätzen folgen Rolf Yadig und Andrea Sievers. 44 Wortkünstler, darunter etliche Neulinge, sind nach Rotenburg an der Fulda gereist, ein Städtchen mit rund 14000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie genossen den Aufenthalt in Göbel’s Hotel, das sich etwas oberhalb des Ortskerns befindet. Mit zum angenehmen Aufenthalt trug ein klug zusammengestelltes Rahmenprogramm bei mit Kulturabend, kniffligem Quiz, unbeschwertem Kegelabend und Simultanturnier. Auf grosses Interesse stiess auch der Vortrag der Leiterin der Duden-Redaktion, Kathrin Kunkel-Razum, der zu sehr engagierten Voten aus dem Kreis der Mitspielenden führte. Es ist dem Präsidenten von Scrabble e.V., Sebastian Herzog, hoch anzurechnen, dass er das ZEIT-Turnier nicht hat sterben lassen, sondern mit viel Initiative und Können in neuer Form weiterführt.