von Hans Trachsel
Eigentlich ist es erstaunlich, dass es erst jetzt, bei der fünften Austragung, passiert ist: ein Finale am Schweizer Scrabble-Turnier in St. Gallen ohne Schweizer Beteiligung. Denn die Beteiligung aus Deutschland war von Beginn weg stark und die Schweiz zahlenmässig deutlich unterlegen. Doch Blanca Gröbli (verlornes Finalspiel gegen Jürgen Miguletz) und Regula Schilling mit ihrer Triplette von 2012 bis 2014 sorgten dafür, dass die Schweiz im Endspiel vertreten war und gar dreimal dominierte.
Und auch bei der 5. Auflage schien das zu klappen: Regula Schilling spielte elf Runden lang so stark wie nie, doch Friedrich Engelke, Christof Pitzer und Agnes Ehrlich blieben ihr auf den Fersen. Das zwölfte Spiel musste entscheiden. Hier nun siegten Engelke gegen Gröbli hoch und Pitzer gegen Stefan Merx mit 446:412. Überraschend scheiterte dagegen Regula gegen Sabine Becker, die nicht zu den Favoritinnen gehört hatte. Sabine war selbst überrascht: »Ein spätes Bingo, das ich fast nicht gesehen hätte, entschied die Partie«. Regula trug’s mit Fassung: Ihr Turnier, das sie als Hauptorganisatorin mit Kompetenz und Herzlichkeit prägt, war auch 2015 ein großer Erfolg; es gab, wo man hinhörte, nur lobende Worte.
Im Endspiel dann dieses ungleiche Paar: Der 72-jährige Professor, durchaus freiwillig noch nicht ganz emeritiert, und der 32-jährige fast noch frischgebackene Ehemann und Vater einer Tochter, der mit seiner jugendlich unbekümmerten Art die Scrabbleszene seit Jahren aufmischt. Im Finale hatten beide Chancen; es ging schließlich 392:340 an Engelke, womit nach Annelise Grabble im letzten Herbst in Syke zum zweiten Mal innert kurzer Zeit ein „Oldie“ es allen gezeigt hat. Beide leisteten sich Schnitzer: Christof zweifelt FÖHREN an, weil er nur an das nordische FÖRE (Geführigkeit von Schnee) und nicht an den Nadelbaum denkt, und dann noch AUSTU, Friedrich kann mit der Verbform GELEST (von »gelen«, nicht von »lesen« abgeleitet) nichts anfangen und muss RHÄTEN abräumen. Dabei hätte er stattdessen an anderer Stelle RHÄTERN als Bingo legen können. Christof bedankt sich und holt sich mit dem Bingo MAUERNS den günstigen Ort.
Doch dieser Coup reicht nicht: Der alte Fuchs kontert sofort mit ERNÄHRTE, das er zuvor an anderer Stelle verschmäht hatte und gibt die Führung nicht mehr aus der Hand. Christof probiert noch LENGENS; der Fisch heißt aber nur LENG und das Wort bleibt nicht stehen. Friedrich macht an dieser Stelle nun mit dem Bingo TAUFENS alles klar. Er hat hier sein insgesamt siebtes Finalspiel bestritten und nun zum dritten Mal gesiegt. Zwischendurch gab’s Abstürze und den Verlust von 120 Elo-Punkten innert kurzer Zeit. Doch mit ausgefeilter, überlegter Spielweise bringt er seine Mitspieler immer wieder zur Verzweiflung. Natürlich gab’s im Endspiel von beiden Kontrahenten auch eine Menge brillante Züge; aber 80 Augen sehen nun mal alles, was nicht rund läuft und diskutieren es danach bei der St. Galler „Brodworscht“ genüsslich.
Regula kam unangefochten auf Platz drei; sie erreichte mit einem Mittel von 448 Punkten das höchste Total aller 45 Mitspielenden. Agnes Ehrlich, die nur sporadisch an den Turnieren auftaucht, aber dann gleich richtig, kam dank ebenfalls neun Siegen auf Platz vier. Ein hervorragendes Turnier zeigte Andrea Sievers, die fünfte wurde. Sie war am einzigen Tausender-Spiel beteiligt, dort allerdings als Verlierende gegen den Turniersieger. Ebenfalls acht Siege erreichte Sabine Becker; sie holte zwei winzige Punkte weniger als Andrea und liegt damit hinter ihr. Nur Jürgen Miguletz kam noch auf acht Siege. Den Pulk mit sieben gewonnenen Spielen führt die große Schweizer Nachwuchshoffnung Stefan Aebischer an, gefolgt von der unverwüstlichen Blanca Gröbli-Canonica, die aus familiären Gründen nur noch wenige Turniere bestreitet, aber ihr brillantes Können bewahrt. Ein Schlüsselspiel war ihre Partie gegen Regula. Hier entschied sich, wer von beiden fürs Finale in Frage kommt.
Alle hoffen, dass sich am idyllischen Spielort in der Sprachheilschule, 400 Treppenstufen über der Stadt, auch nächstes Jahr wieder die großen Wortkünstler aus dem deutschsprachigen Raum einfinden werden.