Ein neuer Deutscher Meister:
Ein Tsunami fegte durchs Finale

Von | 3. Juni 2019

von Hans Trachsel

Mit 26 Jahren hat Timon Boerner bereits die beiden prestigeträchtigsten Scrabbleturniere gewonnen: 2017 die Liga der Champions, wo nur die 24 Besten überhaupt mitmachen dürfen, und jetzt erstmals die Deutsche Meisterschaft. Der Weg ins Finale gegen die Wiener Gymnasiallehrerin Liesbeth Schön erwies sich für den angehenden Doktor der Rechte allerdings als dornenvoll.

Die 10. Deutsche Meisterschaft war eine mit Neuerungen gespickte dynamische Veranstaltung. Sowohl die Equipe vor Ort als auch der Vorstand von Scrabble Deutschland e. V. gaben ihr Bestes. Die beiden abendlichen Anlässe wurden sehr gut aufgenommen, sowohl das Speed-Turnier als auch das Pub-Quiz. Über beide Anlässe wurde bereits berichtet. Man kann eigentlich nur wünschen: Weiter so!

Im Mittelpunkt stand dann doch die 10. Meisterschaft. Dank vielen Umstürzen an der Tabellenspitze blieb es bis zuletzt unerhört spannend. Nach 10 Spielen, also bei Halbzeit, führten die nachmaligen Finalisten Timon und Liesbeth mit 9:1 Siegen. Auf Platz 3 folgte Ben mit „nur“ 7:3 doch schon etwas distanziert. In Runde 12 strauchelte Timon gegen den erstaunlich aufspielenden Eckhard Brekenkamp mit 510:502, das war und blieb die Niederlage mit der höchsten Punktzahl. In Runde 14 erwischte es Timon erneut, diesmal gegen die Deutsche Meisterin von 2013, Uschi Müller. Ben dagegen hatte Überraschungsmann Eckhard sicher im Griff.

Uschi setzte danach ihren Sturmlauf zur Spitze fort: Sieg über Liesbeth Schön. Doch auch Timon und Ben gewannen. Im nächsten Spiel erwischte es Ben: Niederlage gegen Nadja Dobesch. Im Spiel 17 verloren Timon (gegen Friedrich Engelke um einen Punkt!) und Ben gegen Ute Kneist, doch noch behaupteten sie die Spitze. Der nachmalige Meister Timon patzte erneut in Runde 18: Knappe Niederlage gegen Raimund Dillmann, wobei ein Phoney eine entscheidende Rolle spielte: Timon akzeptierte AVENUES, doch richtig heisst es AVENUEN. Mitleid wäre fehl am Platz: Bei Timon gehören die „falschen Freunde“ durchaus zum ausgetüftelten Konzept.

Hochspannung auch nach Runde 19: Die Augsburgerin Agnes Ehrlich verpasste Timon die dritte Niederlage in Serie, womit seine Finalteilnahme ins Wanken geriet. Auch Ben wurde von Uschi Müller regelrecht abgewatscht mit 475:267. Uschi lag eine Runde vor Schluss zusammen mit Liesbeth an der Spitze.

Da in den letzten Runde Hitchcock Regie geführt hatte, paarte die Turnierleitung in der laut Ausschreibung vorgeschriebenen Weise die Leute mit Siegchancen händisch, so dass es zum Teil zu Wiederholungspartien kam. Die Finalteilnahme sollte so direkt erkämpft werden. Das bedeutete, dass sicher nicht wie letztes Jahr Ben und Timon das Finale bestreiten würden, denn sie trafen aufeinander, und Timon gewann klar mit 481:397. Ulla Trappe, bereits dreifache Deutsche Meisterin, fing Uschi Müller ab, die damit keine zweite Chance auf den Meistertitel erhielt. Liesbeth Schön nahm ihre Chance aufs Finale wahr: Sieg mit 424:343 über die an diesem Turnier sehr starke Ute Kneist.

Und nun zum Finale, in welchem Timon gleich tüchtig loslegen und einen Vorsprung herausholen konnte. Doch atemlose Spannung bemächtigte sich des fachkundigen Publikums, als die Buchstabenfee einen TSUNAMI auf das Bänkchen von Liesbeth zauberte, der 93 Punkte gebracht hätte. Sie überlegte lange, fand ihn aber nicht, und mit MI blieb nur ein laues Lüftchen übrig. Ben als Kommentator zeigte Verständnis; das vertrackte Wort mit TS am Anfang erschliesst sich in so einem Moment nicht leicht. Timon dagegen konnte mit SYNERGIE den Vorsprung ausbauen und lag nach der ersten Finalpartie mit 293 Punkten praktisch uneinholbar vorn.

Ben erwartete nun eine eher defensive Taktik von seinem Erzrivalen, doch der spielte erstaunlich angriffig und kam erneut zu Bingos. Den TRAURING mochte er zwar nicht legen (stattdessen TAURIERN), denn er benötigt ihn in den nächsten Tagen selbst. Zur Hochzeit wünschen wir dem frischgebackenen Deutschen Meister alles Gute und sind froh, dass er in diesem Turnier nicht als „Ausserirdischer“ erdrückend überlegen war, sondern auch das Glück des Tüchtigen in Anspruch nehmen musste. Ausser den Führenden haben ganz viele der rund 60 Mitspielenden tolle Wortakrobatik gezeigt. Die Turnierlandschaft präsentiert sich dynamisch wie kaum je und die Medien zeigen immer mehr Interesse. Ein Dank an das Heer hilfreicher Geister, die diese Entwicklung erst möglich machen.